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So interessant können Übersetzungslösungen sein

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Warum Like-Blog? Nun, zum einen ist dieser Blog ein Blog, den Sie mögen (und regelmäßig lesen) sollten – zumindest dann, wenn Sie sich für Übersetzungen interessieren. Zum anderen ist das hier behandelte Thema eines, in dem die sinnstiftende Ähnlichkeit zwischen einem Text und seiner Übersetzung im Sprachenpaar Englisch-Deutsch eine zentrale Rolle spielt. Auf dieser Seite diskutiere ich einige interessante Übersetzungslösungen, die mir im Laufe meiner Tätigkeit als Übersetzer und Übersetzungswissenschaftler über den Weg gelaufen sind.

Eine Übersetzungslösung ist immer nur so gut wie die sie stützenden Argumente. Wer also positive oder negative Übersetzungskritik übt, muss diese auch begründen. Wie gut eine Übersetzungslösung ist, erweist sich erst in Relation zu anderen möglichen Übersetzungslösungen in einer gegebenen Übersetzungssituation. Daher sollte ein Übersetzungskritiker oder eine Übersetzungskritikerin nicht nur sagen, warum eine Übersetzungslösung schlecht ist, sondern auch aufzeigen, wie eine bessere Lösung aussehen könnte. Diese Grundsätze der Übersetzungskritik werde ich versuchen zu beherzigen. Das bedeutet auch: Wenn Sie Fragen zu meiner Argumentation haben oder anderer Meinung sind, lassen Sie es mich gerne wissen unter 04171 6086525 oder per E-Mail an bittner@businessenglish-hamburg.de. Doch nun genug der einleitenden Worte. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!

Grammatische Zweideutigkeit (November 2019)

Texte lassen sich auf verschiedene Arten lesen: Man kann sie überfliegen, um zu sehen, wovon sie handeln; man kann sie oberflächlich lesen, wenn man den Inhalt im Wesentlichen verstehen möchte; und man kann sie gründlich lesen, etwa, um sprachliche Feinheiten aufzuspüren. Übersetzerinnen und Übersetzer sollten letztere Lesetechnik beherrschen.

In der diesjährigen Augustausgabe von Business Spotlight ist ein Guardian-Artikel von Harriet Swain abgedruckt. Dies ist nicht ungewöhnlich, denn Artikel aus dem Guardian finden regelmäßig Eingang in Business Spotlight. Da Business Spotlight eine Zeitschrift für im Beruf stehende deutschsprachige Englischlerner ist, erhalten sämtliche Beiträge eine redaktionelle Ergänzung in Form von englisch-deutschen Vokabelerklärungen. Das erspart der Leserin oder dem Leser weitgehend das Nachschlagen in einem Wörterbuch und hebt gleichzeitig wichtige oder interessante Wörter hervor. Ein solcher punktueller Übersetzungsservice wird besonders auch in solchen Fällen geboten, in denen ein bestimmtes Wort im Text mit einer anderen als der sonst typischen Bedeutung verwendet wird. Diesen speziellen Übersetzungen wird mit „hier“ ein entsprechender Hinweis vorangestellt.

Der besagte Artikel handelt davon, wie moderne Technik Studierenden mit Beeinträchtigungen den Universitätsalltag erleichtert. Am Schluss wird Piers Wilkinson zitiert, der sich für die Belange beeinträchtigter Studierender einsetzt. Er weist darauf hin, dass virtuelle Realität sinnvoll sein kann, wenn es darum geht, Studierenden im Rollstuhl das Erleben bestimmter natürlicher Umgebungen (wie z. B. einer Salzwiese) zu ermöglichen:

“It can be incredibly difficult for a disabled student to get a wheelchair on to a salt marsh,” he says. “But if the learning aims are being immersed in an environment, and making discoveries, VR can achieve that.” (Business Spotlight 6/19, S. 64)

Verstehen Sie den letzten Satz des Zitats? Wenn Sie jetzt ohne zu zögern innerlich mit „Ja“ antworten, frage ich noch einmal: Ergibt das, was Sie lesen, wirklich Sinn? Wenn Sie jetzt wieder mit „Ja“ antworten, gehören Sie zu den Glücklichen, die diesen Satz in seiner grammatischen Zweideutigkeit auf Anhieb richtig interpretieren. Um es vorwegzunehmen: Das, was Piers Wilkinson von sich gibt, ist – jedenfalls in der Version, die Harriet Swain im Guardian festgehalten hat – in jeder Hinsicht völlig in Ordnung. Das Problem, das sich hier dennoch auftut, entsteht eigentlich erst durch die Tatsache, dass ein mündliches Zitat schriftlich wiedergegeben wird. Denn dadurch kommt dem Text mit der Intonation ein wichtiges strukturierendes Merkmal abhanden.

Die Business-Spotlight-Redakteurin (oder der Business-Spotlight-Redakteur) merkt zu „immersed in“ an: „immerse sth. in sth. ‣ etw. in etw. eintauchen hier: einbetten, verankern“. Anlass zu dieser eher ungewöhnlichen Bedeutungsänderung von „immerse“ ergibt vermutlich die Überlegung, dass Lernziele unmöglich in eine Umgebung eingetaucht, wohl aber darin eingebettet oder verankert werden können. Der erste Teil des Satzprädikats wäre also die passive Verlaufsform des Verbs „immerse“ im Präsens: are being immersed. Während diese grammatische Interpretation sich mit Hilfe der erwähnten Bedeutungsänderung noch stützen lässt, gerät sie in Bezug auf den zweiten Teil des Satzprädikats arg ins Schwimmen: Wie, bitte, sollen Lernziele Entdeckungen machen?

Des Rätsels Lösung ist eine andere grammatische Interpretation. Was in gesprochener Sprache durch eine kurze Pause nach „are“ schnell offensichtlich wird, lässt die geschriebene Variante weniger klar erkennen: Das finite Verb des gesamten if-Satzes steht im Präsens und lautet „are“. Die -ing-Formen „being immersed“ und „making“ sind substantivierte Verben. So kommt man ohne eine Anpassung der Bedeutung von „immerse“ aus, denn jetzt gibt es ganz einfach zwei Lernziele: (1) das Eintauchen in eine Umgebung (wie z. B. Salzwiesen) und (2) das Machen von Entdeckungen. Mit einer etwas ungewöhnlichen, aber möglichen Zeichensetzung ließe sich auch im schriftlichen Text die grammatische Zweideutigkeit beseitigen: “But if the learning aims are: being immersed in an environment, and making discoveries; VR can achieve that.”